Kreidezähne – die neue Volkskrankheit

Der Zahnschmelz ist dünn, bricht oder bekommt Risse. Der betroffene Zahn hat gelblich-bräunliche Flecken, und das Essen und Zähneputzen bereitet Ihrem Kind Schmerzen. Die Zahnmedizin steht immer noch vor einem Rätsel, was die Ursachen betrifft, und eine Heilung für diese Zahnerkrankung gibt es ebenfalls nicht: Die sogenannten Kreidezähne treten bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter inzwischen häufiger auf als Karies. Die Früherkennung und konsequente Behandlung der Kreidezähne sind daher sehr wichtig, um die Schäden für das bleibende Gebiss zu minimieren.

Was sind Kreidezähne?

Kreidezähne werden durch eine Mineralisierungsstörung hervorgerufen. Wenn ein ganz neuer Backenzahn im Kindermund schon braun und bröselig aus dem Kiefer bricht, liegt das nicht an mangelnder Hygiene. Der Zahnschmelz – normalerweise die härteste Substanz im menschlichen Körper – ist bei dieser Krankheit nur ein Zehntel so dick wie bei gesunden Zähnen und kann leicht absplittern oder brechen. Die betroffenen Zähne haben eine raue Oberfläche, sind porös, verfärbt und extrem schmerzempfindlich, da das Zahninnere, das Dentin, nicht mehr ausreichend durch den natürlichen Schutzpanzer geschützt wird. Bakterien können leicht in den schadhaften Zahn eindringen und Karies und Entzündungen auslösen.

Der medizinische Fachbegriff dafür lautet Milchmolaren-Hypomineralisation (MMH), wenn die Milchzähne befallen sind, oder Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), wenn die bleibenden Zähne betroffen sind. In dem komplizierten Namen stecken die beiden am häufigsten befallenen Zähne: Molaren (Backenzähne) und Inzisiven (Schneidezähne). Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde bezeichnete 2018 in einer Pressemitteilung MIH als neue Volkskrankheit. Während Kariesinfektionen bei Kindern und Jugendlichen seit Jahren zurückgehen, stieg die Zahl der diagnostizierten MIH Fälle in den letzten Jahren deutlich an. Jedes dritte 12-jährige Kind ist laut der Deutschen Mundgesundheitsstudie heute schon davon betroffen. 

Woran erkennt man Kreidezähne?

Die MIH wird in drei Stufen eingeteilt:

  • Schweregrad A
    Die Zähne weisen häufig nur einzelne Verfärbungen auf, sind aber noch unempfindlich und haben keine Strukturschäden.
  • Schweregrad B
    Es sind schon starke Demineralisierungen und Strukturveränderungen zu erkennen. Die Zähne sind rau, haben deutliche Opazitätsunterschiede, weiß-gelbliche oder gelb-braune Flecken, und ihnen fehlt die Glätte und der Glanz gesunder Zahnsubstanz.
  • Schweregrad C
    Die Zähne sind bereits stark zerstört: Der Zahnschmelz ist so dünn und brüchig, dass die Zähne bei Hitze- oder Kälteeinwirkung und bei Berührung wie Essen oder Zähneputzen stark schmerzen. Beim Zubeißen und Essen können Teile der Zahnsubstanz abbrechen. Da die porösen Zähne so schmerzempfindlich sind, besteht die Gefahr, dass das betroffene Kind dadurch seine Mundhygiene vernachlässigt und in schweren Fällen sogar die Nahrung verweigert. 


Sie sollten mit Ihrem Kind den Zahnarzt aufsuchen, sobald es seinen ersten Zahn bekommen hat. Sollte Ihr Kind Kreidezähne haben, kann der Zahnarzt die Erkrankung frühzeitig diagnostizieren und mit der Behandlung Folgeschäden und Schmerzen verringern. Übrigens: Bei schwerer Ausprägung von Kreidezähnen gilt Ihr Kind als Schmerz-Notfall und kann als solcher vorgezogen behandelt werden.    

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Welche möglichen Ursachen haben Kreidezähne?

Die Gründe dafür, warum Zähne schon morsch aus dem Kiefer wachsen, sind immer noch nicht geklärt. MIH ist in der entsprechenden Altersgruppe bei Kindern inzwischen ein größeres Problem als Karies. Der Zahnschmelz bildet sich schon ab dem achten Schwangerschaftsmonat im Mutterleib, die Mineralisierung und Aushärtung dauert etwa bis zum vierten Lebensjahr. Mit rund sechs Jahren bricht der erste bleibende Backenzahn – der Sechsjahr-Molar – beim Kind in die Mundhöhle durch und kann dann bereits stark geschädigt sein, auch wenn das Milchgebiss kerngesund war.

Bei MIH-Zähnen ist die normale mineralische Zusammensetzung des Zahnschmelzes erheblich gestört. Neben vermuteten Ursachen wie Erkrankungen der oberen Atemwege, Vitamin-D-Mangel oder die Gabe von hoch dosierten Antibiotika steht auch der Plastikweichmacher Bisphenol A im Verdacht, für die Kreidezähne verantwortlich zu sein. Weichmacher befanden sich noch bis 2011 in Plastiktrinkflaschen für Babys und Kinder. In Tierversuchen mit Ratten, die Bisphenol A verabreicht bekamen, zeigten sich extreme Mineralisierungsstörungen im Zahnschmelz. Bisher wurde aber noch keine der vielen mutmaßlichen Ursachen medizinisch bestätigt.

Kann man Kreidezähnen vorbeugen oder sie heilen?

Nein, eine nachträgliche Mineralisierung des Zahnschmelzes ist nicht möglich. Auch vorbeugende Maßnahmen gibt es noch nicht, da die Ursache nicht geklärt ist. Kreidezähne werden nie gesunde Zähne sein. Je früher die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation jedoch erkannt und therapiert wird, um so besser können schwere Folgeschäden vermieden werden. Eltern sollten mit ihren Kindern zur Kontrolle den Zahnarzt aufsuchen, sobald sich der erste Zahn im Kiefer zeigt. Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung gibt es verschiedene Behandlungen, die alle darauf abzielen, die bleibenden Zähne möglichst zeitlebens zu erhalten.

Eine konsequente gründliche Zahnpflege zu Hause ist unumgänglich, auch wenn es wehtut. Die Verwendung einer fluoridhaltigen Kinderzahnpasta ist dabei von Vorteil. Eltern sollten bei Ihrem Nachwuchs schon in den ersten Lebensjahren auf eine gesunde Ernährung achten, um die Entwicklung des Zahnschmelzes bestmöglich zu unterstützen. Vitamin D und Vitamin K2 sind wichtig für die Bildung und Mineralisierung von Knochen und Zähnen, bei beiden sollte kein Mangel entstehen. Achten Sie auf die Verwendung von BPA-freien Plastikflaschen und Essbesteck bei Ihrem Kind. Der Zusammenhang zwischen Weichmachern und der Erkrankung ist zwar nicht nachgewiesen, der Gesetzgeber verbietet aber seit 2011 die Verwendung von Bisphenol in Trinkfläschchen für Babys und Kleinkinder.

Von MIH befallene Zähne sind durch ihre raue und bröckelige Oberfläche extrem anfällig für Kariesbefall. Regelmäßige Zahnarztbesuche sind bei Kreidezähnen Pflicht. Therapie und Prophylaxe in der Zahnarztpraxis (zum Beispiel Fluorid-Gelees oder -Lacke), Füllungen für entstandene Defekte oder Kronen zum Schutz der verbliebenen Zahnsubstanz helfen, Schmerzen und Empfindlichkeiten zu dämpfen oder zu beseitigen. Im schlimmsten Fall  muss der Zahn gezogen und die Lücke entsprechend versorgt werden.  

Können auch Erwachsene Kreidezähne bekommen?

Nein, das ist nicht möglich. Da MIH eine Entwicklungsstörung des Zahnes ist, kann diese Störung nur bei Kindern während Bildung des Zahnschmelzes auftreten. Die schmelzbildenden Zellen – die Ameloblasten – arbeiten nur einmal im Leben eines Menschen, um dieses einzigartige Material herzustellen. Wenn ihre Aufgabe abgeschlossen ist, bilden sie sich zurück, und spätestens mit dem Durchbruch der bleibenden Zähne ist das Dasein der Zellen beendet. Im Normalfall ist der Zahnschmelz dann sehr hart, gleichzeitig flexibel und dafür gerüstet, ein Leben lang kräftig zuzubeißen. Natürlich kann auch ein Erwachsener durch mangelnde Zahnpflege und häufigen Verzehr von säurehaltigen Speisen und Getränken seine Zähne entmineralisieren. Das bezeichnet man als Zahnschmelzerosion. Lesen Sie mehr darüber in unserem Ratgeberartikel zur Zahnschmelzerosion.

Fazit:

Bis die genaue Ursache für die mysteriöse Krankheit gefunden ist, bleibt als Gegenmaßnahme nur die frühzeitige und gründliche Kontrolle der Zähne des Kindes. Wird die MIH rechtzeitig vom Zahnarzt erkannt, können therapeutische Maßnahmen Schlimmeres verhindern. Eine sorgfältige häusliche Mundhygiene allein kann die höhere Kariesanfälligkeit der Kreidezähne nicht kompensieren. Gewissenhafte Prophylaxe und regelmäßige Kontrollen in der Praxis – auch mehrmals im Jahr – sind notwendig, um Kariesbefall so lange wie möglich hinauszuzögern.

Hinweis: Dieser zahnmedizinischer Artikel soll das Verständnis und Wissen über allgemeine Mundgesundheitsthemen fördern. Er ist kein Ersatz für professionelle Beratung, Diagnose oder Behandlung. Lassen Sie sich bei Fragen zu einer Erkrankung oder Behandlung immer von Ihrem Zahnarzt oder einem anderen qualifizierten Gesundheitsdienstleister beraten.