Zahnfleischtaschen und Parodontitis – Die unbemerkte Volkskrankheit

Es beginnt ganz unspektakulär mit einer leichten Zahnfleischentzündung. Ein bisschen Zahnfleischbluten beim Zähneputzen oder beim Biss in einen Apfel macht den wenigsten Menschen Sorgen, vor allem, weil es normalerweise keine Schmerzen verursacht. Doch dieses Symptom deutet auf eine Erkrankung hin, die schmerzlos und schleichend voranschreitet. Die Parodontitis (früher Parodontose) ist eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparats und gefährdet in fortgeschrittenem Stadium nicht nur den Halt der Zähne, sondern auch die allgemeine Gesundheit des Körpers. Die Parodontitis ist weit verbreitet: Jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist davon betroffen. 

Wie ist das Zahnfleisch aufgebaut?

In gesundem Zustand liegt das Zahnfleisch (Gingiva) dicht am Zahnhals an und schützt die tieferen Bereiche des Zahns vor schädlichen Bakterien und Einflüssen aus dem Mundraum. Der Rand des Zahnfleischs bildet direkt am Zahn eine kleine Furche (Sulcus) und ist beweglich (freie Gingiva). Zum beweglichen Zahnfleisch gehören auch die spitzen, dreiecksförmigen Interdentalpapillen zwischen den einzelnen Zähnen. Weiter unten in Richtung Zahnwurzel haftet das Zahnfleisch durch Bindegewebe fest am Kieferknochen (befestigte Gingiva). Auch der Zahn selbst sitzt durch eine bindegewebige Aufhängung, den Sharpey-Fasern, leicht federnd in seinem Zahnfach (Alveole). Zwischen Zahn und Kieferknochen besteht also ein natürlicher Spalt, der Parodontalspalt.

Warum blutet das Zahnfleisch?

Es ist ganz normal, dass in der Mundflora verschiedenste Bakterien existieren, die sich an unterschiedlichen Stellen im Mund wohlfühlen. Werden die Zähne nur unzureichend gesäubert, bieten sie bestimmten Bakterien eine Nahrungsgrundlage, die sich von Speiseresten ernähren. Durch schlechte Mundhygiene verschiebt sich das normale Gleichgewicht der Mundflora, Keime vermehren sich auf ein ungesundes Maß. Der bakterielle Belag aus Speiseresten, Fetten, Eiweiß, Zucker und Bakterien setzt sich an der Zahnoberfläche und vor allem in der Furche zwischen Zahn und Zahnfleisch fest.

Im bakteriellen Zahnbelag (Plaque) vermehren sich die Bakterien besonders gut und produzieren durch ihren Stoffwechsel Säuren und Toxine. Geraten diese Giftstoffe in den beweglichen Teil der Gingiva, schlägt das Immunsystem Alarm. Mit erhöhter Durchblutung versucht der Körper, die Toxine auszuschwemmen. Das Zahnfleisch rötet sich, schwillt an und blutet schnell – eine Zahnfleischentzündung (Gingivitis) ist entstanden. 

Eine Gingivitis basiert fast immer auf mangelnder Mundhygiene und ist im Anfangsstadium noch gut in den Griff zu bekommen. Dafür sorgt eine konsequente, gründliche Mundhygiene: Zweimal täglich Zähneputzen und einmal täglich die Zahnzwischenräume mit Zahnseide oder Interdentalbürstchen reinigen lässt die Zahnfleischentzündung abklingen. Eine professionelle Zahnreinigung in der Zahnarztpraxis entfernt Zahnstein, hartnäckige Beläge und Verfärbungen und hilft zusätzlich, die Zähne gesund zu halten.

Was ist eine Zahnfleischtasche?

Von einer Zahnfleischtasche spricht der Zahnarzt, wenn sich die schmale Furche am Zahn durch Entzündungsprozesse erweitert und vertieft. Das Zahnfleisch löst sich immer mehr vom Zahn und bildet eine Zahnfleischtasche. In tiefen Zahnfleischtaschen gedeihen Bakterien gut geschützt von äußeren Einflüssen und lassen sich mit häuslichen Putzmaßanhmen nicht mehr beseitigen. Das Zahnfleisch schützt den Zahnhalteapparat nicht mehr ausreichend, die Zahnhälse werden sichtbar und die Zähne wirken länger. 

Wie wird eine Parodontitis diagnostiziert?

Mit einer sogenannten Parodontalsonde stellt der Zahnarzt die Tiefe einer Zahnfleischtasche und den Entzündungsgrad des Zahnfleischs fest. Gesundes Zahnfleisch weist eine Messtiefe von bis zu 3 mm auf. Ab einer Tiefe von 3,5 Millimetern kann von einer Parodontitis gesprochen werden. Je höher der Messwert, desto schlechter steht es um die Zähne. Zahnfleischtaschen sind ein deutliches Symptom für eine Parodontitis. Wird die Erkrankung nicht behandelt, drohen Kieferknochenabbau und Zahnverlust.

Zahnstein fördert das Bakterienwachstum und Entzündungen

Die häufigste Ursache für Gingivitis und Parodontitis ist mangelhafte Mundhygiene. Wird der Zahnbelag nicht regelmäßig und gründlich beseitigt, lagern sich Mineralstoffe aus dem Speichel ein, und der weiche Belag "verkalkt" mit der Zeit zu hartem Zahnstein. Er bildet unschöne gelbliche bis braune Ablagerungen an Zähnen und Zahnfleischrand. Seine raue Oberfläche kann bis unter den Zahnfleischrand wachsen und ist eine ideale Brutstätte für die Bakterien. Zahnstein lässt sich nicht mehr bei der täglichen Mundhygiene beseitigen und muss bei den regelmäßigen Kontrollen in der Praxis oder im Rahmen der professionellen Zahnreinigung mit speziellen Instrumenten entfernt werden. Der Zahnstein unterhalb des Zahnfleischrands haftet besonders gut an den Zähnen und begünstigt Entzündungen. Geht die Infektion durch die tiefen Zahnfleischtaschen auf den gesamten Zahnhalteapparat über, kommt es zu einer Parodontitis.

Warum ist eine Parodontitis so gefährlich?

Da die Parodontitis keine Schmerzen verursacht, wird sie meist erst spät erkannt. Nur durch eine Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt kann die tiefgehende Entzündung im Zahnhalteapparat identifiziert werden. Die Bakterien dringen durch die Zahnfleischtaschen und den tiefen Spalt am Zahn hinab bis an die Zahnwurzel und den Knochen. Darauf reagiert der natürliche Abwehrmechanismus des Körpers, indem er versucht, das erkrankte Gewebe zu reduzieren. Zahnfleisch und Knochen werden durch die chronische Entzündungsreaktion allmählich zerstört. Eine unbehandelte Parodontitis kann zu Blutungen und Eiterungen führen. Langfristig verursacht die Erkrankung den Abbau des Kieferknochens, lockere Zähne und Zahnverlust. 

Womit die wenigsten Patienten rechnen, ist der ständige Strom von Entzündungsstoffen und Bakterien, die durch das Zahnfleisch in den Blutkreislauf gelangen. Eine Parodontitis beschränkt sich nicht nur auf die Zähne oder den Mundraum. Die Zusammenhänge zwischen schweren Erkrankungen des Körpers und einer Parodontitis sind wissenschaftlich belegt: Ist der Zahnhalteapparat entzündet, kann dies zu Arterienverkalkung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfällen und Frühgeburten führen. Bakterien aus der Mundhöhle können Infektionen der Herzklappe oder von künstlichen Hüft- oder Kniegelenken auslösen.

Eine Parodontitis hat eine Wechselwirkung zu einem Typ-2-Diabetes. Bei Patienten mit dieser Stoffwechselkrankheit wird die medikamentöse Einstellung erheblich erschwert, wenn sie an einer Parodontitis leiden. Lesen Sie mehr über die Zusammenhänge zwischen den beiden Erkrankungen in unserem Ratgeber-Artikel Diabetes und Parodontitis – ein schädliches Duo.

Eine Studie hat bereits bestätigt, dass die Entzündung des Zahnhalteapparats die Demenzerkrankung Morbus Alzheimer fördert. Lesen Sie Details zur entsprechenden Studie und Wissenswertes zu den Auswirkungen des Parodontitis-Leitkeims auf das Gehirn in unserem Artikel Studie bestätigt: Parodontitis fördert das Risiko für Alzheimer

Wer hat ein erhöhtes Risiko für eine Parodontitis?

Mangelhafte Zahnpflege und bakterieller Zahnbelag sind die Hauptursachen für die entzündliche Erkrankung. Es gibt jedoch noch andere Risikofaktoren, die eine Infektion des Zahnhalteapparats begünstigen:

  • Rauchen
  • Stress
  • Diabetes
  • Adipositas
  • Vererbte Veranlagung für parodontale Erkrankungen
  • Osteoporose

Behandlung einer Parodontitis

Das oberste Ziel einer Parodontitis-Therapie ist, die Entzündung zu stoppen und die Ursachen zu beseitigen. Mit dem Parodontalen Screening Index (PSI) bewertet der Zahnarzt die Schwere der Erkrankung auf einer Skala von eins bis vier: Code 0 bedeutet, Zahnfleisch und Zahnbett sind gesund, Code 1 und 2 stehen für eine Zahnfleischentzündung, Code 3 und 4 bezeichnen eine mittelschwere bzw. schwere Parodontitis. Alle Zahnfleischtaschen werden ausgemessen und der Lockerungsgrad der Zähne festgestellt. Mit Röntgenaufnahmen lässt sich erkennen, ob der Kieferknochen bereits durch die Entzündung geschädigt wurde. 

Sinkt die Sonde mehr als 3,5 Millimeter tief am Zahn ein, leitet der Zahnarzt eine Basis-Behandlung der Parodontitis ein. Die sogenannte geschlossene Behandlung umfasst die Reinigung der Zahnoberflächen, der Zahnfleischtaschen und der freiliegenden Zahnwurzeln mit Handinstrumenten (Küretten, Scalern), Ultraschall-Geräten oder rotierenden Instrumenten. Beläge, Zahnstein und Bakterien werden unter örtlicher Betäubung gründlich gesäubert. 

Führt die geschlossene Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg und die bakterielle Entzündung besteht weiterhin, ist eine offene Behandlung notwendig. Unter Lokalanästhesie wird das Zahnfleisch mit einem kleinen Schnitt geöffnet, damit unter Sicht die auch sehr tiefe Taschen und die Zahnwurzeln gereinigt werden können. Krankhaftes Gewebe wird entfernt und das Zahnfleisch anschließend wieder eng am Zahn vernäht. Das beseitigt die Zahnfleischtaschen und fördert das erneute Anheften des Zahnfleischs an der Zahnoberfläche.

Wer trägt die Kosten für eine Parodontitis-Behandlung?

Seit Juli 2021 tragen die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten für die akute Behandlung und die langfristige Nachsorge einer diagnostizierten Parodontitis. Die UPT (Unterstützende Parodontitis-Therapie) wird für bis zu zwei Jahre nach der aktiven Behandlung des Zahnfleischs gewährt. 

 

 

Patienten müssen aktiv mitwirken

Gesunde Zähne brauchen gute Pflege. Damit eine Parodontitis-Behandlung zum Erfolg führen kann, erhalten Patienten eine Anleitung zu einer besseren Mundhygiene. Die Prophylaxefachkraft oder der Zahnarzt erläutert die optimale Anwendung einer Handzahnbürste oder eines elektrischen Modells und wie man Zahnseide oder Interdentalbürsten richtig anwendet. Die Unterweisung des Patienten folgt den Handlungsempfehlungen der S3-Leitlinie für das mechanische häusliche Biofilm-Management (Biofilm = bakterieller Zahnbelag). Zahnfärbetabletten zeigen vor der Behandlung genau auf, wo die Reinigung unvollständig ist und noch Beläge am Zahn haften. 

Parodontitis oder Parodontose – was denn nun?

Eine Entzündung des Zahnhalteapparats nannte man früher Parodontose. Diese Bezeichnung gilt in der Zahnmedizin mittlerweile als veraltet. Die Wortendung -itis bezeichnet immer eine Entzündung, während die Endung -ose eine normale, altersbedingte Veränderung bedeutet (wie zum Beispiel Arthrose). Mit einer Parodontose diagnostiziert der Zahnarzt heute den altersbedingten Rückgang des Zahnfleischs ohne entzündlichen Hintergrund. Ein Symptom also, das dem der Parodontitis zwar ähnelt, aber einen anderen Hintergrund hat.  

Fazit

Eine Parodontitis ist eine ernsthafte Gefahr für die Zähne und den Körper, und die Behandlung ist langwierig und nicht angenehm. Es muss allerdings gar nicht so weit kommen, denn die Vorbeugung ist ganz einfach: Sorgfältige Zahnpflege (die Zwischenräume nicht vergessen!) und regelmäßige Kontrollen beim Zahnarzt, ergänzt durch ein oder zwei professionelle Zahnreinigungen im Jahr, verhindern Zahnfleischentzündungen und halten die Zähne sauber und gesund.

Hinweis: Dieser zahnmedizinischer Artikel soll das Verständnis und Wissen über allgemeine Mundgesundheitsthemen fördern. Er ist kein Ersatz für professionelle Beratung, Diagnose oder Behandlung. Lassen Sie sich bei Fragen zu einer Erkrankung oder Behandlung immer von Ihrem Zahnarzt oder einem anderen qualifizierten Gesundheitsdienstleister beraten.


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